Lese dir das mal durch
Ritalin - nein danke!
Immer mehr Kinder kommen wegen ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) in meine Praxis. Frage ich genauer nach, geht es um Konzentrations- und Verhaltensprobleme in Kindergarten und Schule, schlechte Noten, Beziehungsprobleme in der Familie, motorische Unruhe/Zappeligkeit oder Tagträumerei /geistige Abwesenheit.
Unter diesen Begriffen verbergen sich verschiedenste Verhaltensmuster unterschiedlicher Ausprägung. In einer Gruppe tritt Störverhalten häufiger auf als in der Familie. Dies liegt sicherlich auch daran, dass in einer Gruppe eine höhere Anpassungsleistung erbracht werden muss und das einzelne Kind nicht in dem erforderlichen Maße aufgefangen werden kann.
Mittlerweile fällt es Erzieher/Innen und Lehrer/Innen zunehmend schwerer adäquat auf die Kinder einzuwirken. Warum? Die Gruppen bzw. Klassenstärken sind hoch und der Ruf nach Leistung wird immer lauter. Seit der Pisa-Studie scheint das Problem noch massiver zu sein.
Statt Inhalte und Methoden zu hinterfragen, wird von politischer Seite noch mehr Leistung gefordert, frühere Einschulung, mehr Bildung im Kindergarten. Das Kind mit seinen Bedürfnissen nach Wärme, Unterstützung, Individualität, Ganzheitlichkeit, Spiel und Lernen mit Freude tritt zurück hinter dem Ziel: Wie bekomme ich noch mehr Lernstoff in diesen Kopf?
Lehrer kommen von Lehrlust zu Lehrfrust! Sie bedrängen Eltern häufig, ihren Kindern Ritalin oder Medikinet zu verabreichen. Die Verlockung liegt in einem sozial angepassten Verhalten und meist besseren Noten.
Manchmal bin ich entsetzt, wenn 7-jährige mir vom notwendigen Abitur erzählen, um einen guten Beruf erlernen zu können. Wie belastet sind Kinder von den Existenzängsten ihrer Eltern, der Wirtschaftssituation im Land, der Hektik unseres Alltages und dem Frust ihrer Lehrer! So erlebe ich Erstklässler, die ihre Lebensfreude verlieren (ich möchte nicht mehr leben wegen der Schule), sagen: Schule ist blöd, blöd, blöd. und am Sonntagabend weinen, weil der Montag kommt. In der Regel ist der Lehrer heute nicht mehr die positive Autoritätsperson.
Statt Kinder zu stützen als unsere Zukunft geben wir ihnen Psychopharmaka und machen sie zu Kranken (Richard De Grandpre Die Ritalingesellschaft, Beltz). Wer profitiert wirklich davon? Böse gesagt, auf jeden Fall die Pharmaindustrie.
Eltern sind oftmals erleichtert, wenn sie eine Diagnose für ihr Kind bekommen. Es wird ihnen damit die Last einer Schuld genommen. Bis dahin leiden sie unter der Anschuldigung erziehungsunfähig zu sein, haben permanent Auseinandersetzungen mit Pädagogen und Eltern anderer Kinder. Oft sind sie an ihrer Belastungsgrenze und haben teilweise Mühe ihr Kind zu lieben und anzunehmen.
So schreibt R. Wirtz in Keine Pillen für den Zappelphilipp bei Rowohlt:
Niemand war da, der mir meine Fragen hätte beantworten können. Niemand stand mir bei in Stunden der Enttäuschung und Wut. Niemand gab mir Kraft zum Weitermachen. Einzig eines wurde mir ständig klargemacht: das Ja
zur Pille. Nur die Pille hilft. Therapien oder Veränderungen in der Erziehung können immer nur begleitenden Charakter haben.
Aus medizinischer Sicht handelt es sich bei ADS um eine biologische Störung, eine Störung des Hirnstoffwechsels. So ist es nur natürlich, auf einen körperlichen Defekt mit einem Medikament zu reagieren. Der Wirkstoff ist Methylphenidat und wirkt im Körper ähnlich, wie Kokain. Dies wird in der Fachliteratur mehrfach beschrieben.
Wie die Praxis zeigt, kommt es zwischen Neurologen und Kinderärzten nicht selten zu dem Konflikt, wer die Begleittherapie (z. B. Ergotherapie) verschreiben soll wegen des Budgets. Das lässt Eltern verzweifeln und resignieren. Mehrfach wurde mir berichtet, dass eine Begleittherapie letztendlich dann nicht verordnet wurde.
Die medizinische Diagnostik stützt sich bis heute auf Annahmen, Verhaltensbeobachtungen und Beschreibungen der Bezugspersonen verschiedener Lebensbereiche des Kindes.
Die Beipackzettel der Psychostimulanzien sind ausgesprochen umfangreich, was die möglichen Nebenwirkungen betrifft. Diese sind nicht selten auch wirklich anzutreffen, was Eltern dann doch nachdenklich werden lässt.
Hier nur eine kurze Auswahl: Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Magenbeschwerden, Traurigkeit, Ängstlichkeit, Weinerlichkeit, Schwindel, psychotische Störungen, Tics, Hautausschläge, Haarausfall, Gelenkschmerzen, Verhaltensstereotypien ...
Allein von 1995 bis 2000 stieg in Deutschland der Absatz von Ritalin um mehr als das 40-fache, von 0,7 Mill. auf 31 Mill. Tabletten (Dr. Weishaupt, VFP-Forum, 3/2002, integrative Diagnose und Therapie bei hyperaktiven Kindern).
So schreibt Dr. P. Breggin in www.ritalinkritik.de: Unsere Gesellschaft hat Drogenmissbrauch unter unseren Kindern legalisiert. Noch schlimmer, wir missbrauchen unsere Kinder mit Drogen, statt die Anstrengung auf uns zu nehmen, bessere Wege herauszufinden, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Auf lange Sicht erteilen wir damit unseren Kindern eine ganz schlechte Lektion dass Drogen die Antwort auf emotionale Probleme sind.
Wie komme ich nun zu einem anderen Weg?
Ein alternativer Weg verlangt eine Auseinandersetzung mit unserer Lebensweise, mit Beziehungsgestaltung, Ernährung, Zeit, Lebensgewohnheiten, räumlichen Gegebenheiten usw. Es ist kein einfacher Weg, sondern erfordert Mut, Liebe, Veränderung, Disziplin, Konsequenz, langen Atem, möglicherweise Unverständnis von Außen und Geld (da nicht finanziert durch die Krankenkasse, obschon Nebenwirkungsfrei).