Hallo Ihr alle! Mußte so sehr weinen
Ich bin jetzt 29 Jahre alt. Mit ca. 10 Jahren, damals ging ich in die 4. Klasse einer Grundschule in Nordrhein-Westfalen, wurde bei mir ein IQ-Test gemacht, obligatorisch für die ganze Klasse, weil damit auch die Empfehlungen für die weiterführenden Schulen zusammenhingen. Das Ergebnis erfuhr ich erst Jahre später, meine Eltern erfuhren es zwar direkt nach Auswertung des Tests, hielten das Ganze jedoch für eine Art Klassenarbeit/Abschlußtest und maßen dem auch keine größere Bedeutung bei.
Ich kam in die 5. Klasse auf ein Gymnasium, wenige Wochen später zogen wir um, nach Niedersachsen. Zu meiner Schulzeit kam man in Niedersachsen erst mit der 7. Klasse auf weiterführende Schulen, ich mußte hier die sog. Orientierungsstufe besuchen, fand die Schule schrecklich, es gab hier viele Chaoten, das Niveau war unter aller S..! Das erkannten auch meine Eltern und schickten mich ab der . Klasse auf ein Privatgymnasium. Hier sackten meine Noten plötzlich in den Keller, obgleich ich stets alles wußte und zu Hause schon seit Jahren Bücher für Erwachsene las.
Mit der 7. Klasse zogen wir wieder in eine andere Stadt, immer noch in Niedersachsen, ich kam also auf eine komplett neue Schule. Anfangs verstand ich mich mit den Mitschülern gut, obgleich alle ganz andere Interessen hatten als ich und ich nie wußte, über was ich mich mit ihnen unterhalten könnte, meine Lieblingsthemen interessierten niemanden, deren Themen hielt ich für Pille-Palle. Anfangs hatte ich auch gute Noten. Dann änderte sich das Verhältnis zu den Klassenkameraden, ich wurde mehr und mehr zum Außenseiter, kapselte mich immer mehr ab, suchte mir Freunde außerhalb der Schule, lernte klammheimlich und autodidaktisch italienisch. Die Noten in der Schule rden plötzlich derart katastrophal, daß ich die 7. Klasse mit Mühe und Not schaffte, die 8. mußte ich wiederholen. Irgendwann zwischen der 7. und 8. Klasse wies meine Klassenlehrerin meine Eltern darauf hin, daß mit mir etwas nicht stimme, ob die Schule wohl die richtige für mich wäre, geeigneter wäre sicher eine Sonderschule oder zumindest Real- oder Hauptschule, ich sei ein absoluter Sonderling, außerdem sei es ein Ding der Unmöglichkeit, daß ich in jeder Pause die rauchenden Schüler und Lehrkräfte sehr ausführlich auf die Gefahren des Rauchens hinwies und sie über diverse durch Rauchen ausgelöste Krebsarten hinwies. Darauf besuchten meine Eltern mit mir eine Kinderpsychologin, ein IQ-Test wurde durchgeführt, heraus kam 116, die Psychologin wie meine Eltern jedoch darauf hin, daß ich keine Lust zu dem Test hatte, nur sehr wiederwillig mitgemacht hatte und daher das reale Ergebnis sicher wesentlich höher wäre. Der Kinderarzt überwies uns zu einer weiteren Psychologin, zu einem weiteren Test, mit dem Ergebnis 138. Nun erinnerten sich meine Eltern auch an den Test in der 4. Klasse, begannen langsam, zu verstehen, daß ich anders war, waren aber dennoch vollkommen hilflos, zumal sie ja genau wußten, daß ich zu Hause alles für die Schule wichtige Wissen hatte und auch ein großes Potenzial. Nun erfuhr ich auch, daß ich in dem ersten Test ein über 140 liegendes Ergebnis hatte. Dennoch waren meine Schulnoten schlecht, in Mathe stand ich meist zwischen 4 und 5, obgleich laut IQ-Test die mein stärkstes Fach war, ich lernte mittlerweile in der Freizeit autodidaktisch Spanisch, in der Schule aber versagte ich kläglich. Ich konnte damals alle Länder der Erde mitsamt Hauptstädten und den wichtigsten Großstädten aufzählen und beschäftigte mich via Internet mit Pfessoren und Doktoren der Seismologie und Geologie, hatte in Erdkunde aber immer nur 3 oder 4. Meine Eltern versuchten dies mit einem teuren Privatlehrer für Latein und Mathe in den Griff zu bekommen, der sich auch stets nur enttäuscht wunderte, warum ich zu Hause alles konnte und dann doch wieder eine 5er oder 6er Klassenarbeit mit nach Hause brachte.
In der 10. Klasse wurden meine Leistungen derart schlecht, daß mir angeraten wurde, die Schule zu verlassen, ich besuchte das letzte Halbjahr der 10. Klasse die Realschule, wurde hier von Anfang an gut in die Klassengemeinschaft aufgenommen, es gab keine Probleme mit Mitschülern, ich wurde sogar zu Klassenfeiern eingeladen, und hier hatte ich so gute Noten, daß die Lehrer gar nicht verstehen konnten, wieso ich nicht mehr auf dem Gymnasium war. In Mathe dachte ich mir sogar selber Textaufgaben aus, die ich dann in Anwesenheit des Lehrers der Klasse stellen durfte, die von den meisten Schülern als zu schwer empfunden wurden und den Lehrer dafür um so mehr begeisterten. Die Aufgaben waren stets in sehr emotionale Geschichten verpackt über Flüchrtling in armen Ländern, geliebte Haustiere oder ähnliches.
In der 11. Klasse besuchte ich ein Fachgymnasium für Agrar, hatte Anfangs sehr gute Noten, als die Spanischlehrerin bemerkte, daß ich die Sprache eh schon konnte, ließ sie mich ni meiner Freizeit am Spanischunterricht der 12. Klasse teilnehmen, wo ich jedoch auch schon alles konnte. Nach der Anfangszeit galt ich auch hier mehr und mehr als Sonderling, als dann auch noch bekannt wurde in der Klasse, daß ich in jeder freien Minute in der Eisdiele meiner italienischen Freundin arbeitete (seit ca. 9. Klasse) und mich somit den halben Tag nur in fließendem italienisch unterhielt, wurde ich von mehreren Klassenkameraden als "Spaghettifresser" und "Kanake" beschimpft, ich sonderte mich mehr und mehr ab, suchte mir in der Schule Freunde anderer Nationalitäten, lernte das arabische Alphabet und einige arabische und kurdische Floskeln, die Schulnoten gingen mehr und mehr in den Keller. Die 11. Klasse mußte ich wiederholen. Das Wiederholungsjahr empfand ich als derart langweilig, daß ich mich bald nurmehr in den Pausen in der Schule blicken ließ, um meine beste Freundin zu sehen, oder um mich mit der netten Spanischlehrerin, die mein Problem wohl erkannt hatte, jedoch auch keinen Ausweg wußte, zu unterhalten. Die meisten Stunden schwänzte ich und verbrachte den Vormittag lesend in der Stadtbibliothek oder in Buchläden. Als die Halbjahreszeugnisse verteilt wurden, wußte keiner der Lehrer, wie er mich beurteilen sollte, ich war mittlerweile 18, mir wurde angeraten, die Schule zu verlassen. Ohne Zeugnis.
Ich lernte einen jungen Kurden aus Syrien kennen, war fasziniert von der andersartigen Kultur, der Schule überdrüssig beschloß ich, eine Familie zu gründen und bekam 2 Tage vor meinem 19. Geburtstag mein 1. Kind. Als die Kleine 1 Jahr alt war begann ich eine Ausbildung zur Fachangestellten für Bäderbetriebe. Die Ausbildung machte Spaß, nur mit den Leuten aus der Berufsschule kam ich nicht zurecht, der Interessensunterschied war zu groß. Ich kapselte mich ab, bekam schlechte Zensuren, suchte mir Freunde außerhalb der Schule. Lehrer, meine Eltern, Mitschüler, Freunde, Ausbilder, alle gingen davon aus, ich würde die Abschlußprüfung nicht schaffen und alle waren mehr als erstaunt, als ich ohne große Mühe doch bestand. Zu diesem Zeitpunkt war ich längst geschieden von dem Kurden, hatte nun einen indischen Freund, der sich kurz vor Ende meiner Ausbildung nach Spanien abgesetzt hatte. Nach der bestandenen Prüfung fuhr ich nach Spanien, eigentlich um ihn zurückzuholen, doch dann behielt er mich dort. Ich bekam eine Arbeit auf einem internationalen Flughafen, hatte dort viel Spaß und viele Freunde, heiratete 2007 den Inder, 2008 bekamen wir eine Sohn, allerdings war mein Mann gewalttätig und sehr rastlos. Er wollte nach Irland gehen, schickte mich vor, alsch mit Kind dort war, mußte er plötzlich zurück nach Indien, wir folgten nach. Nach einigen Monaten in Indien hielt er es nicht mehr aus, wollte zurück ins Schlaraffenland Europa, entschied sich für Österreich. Mittlerweile sind wir geschieden und ich bin in einer glücklichen Beziehung mit einem Österreicher, der die gleichen Interessen hat, wie ich. Und mittlerweile bin ich, genau wie meine Eltern, zu dem Schluß gekommen, daß mein Leben sicher ganz anders verlaufen wäre, ich vielleicht hätte studieren und eine tolle Arbeit hätte machen können, wenn wir damals, als meine Hochbegabung festgestellt wurde, entsprechende Hilfe und Förderung, Ratschläge und Tipps bekommen hätten. Ich muß aus heutiger Sicht leider sagen, daß das deutsche Schulsystem mich kaputt gemacht hat, es ist schliht und einfach ein System, in dem für Individuen, die von der Masse auch nur geringfügig abweichen, kein Platz ist, die darin untergehen, wenn sie keinen rettenden Ring zugeworfen bekommen.
Viele der hier geposteten Beiträge haben mich zu Tränen gerührt, weil sie meinen Erfahrungen sehr ähneln, wenn nicht sogar gleich sind, so daß ich beschlossen habe, hier meine Geschichte in Kurzform zu erzählen, in der Hoffnung, damit vielleicht jemand anderem helfen zu können.
Heute bereuen es meine Eltern, mich nicht spätestens in der 7. oder 8. Klasse aus dem deutschen Schulsystem herausgenommen und nach Schottland geschickt zu haben (damals gab es dort eine Schule nur für Hochbegabte, die jedoch meines Wissens von wenigen Jahren ihre Pforten schließen mußte).
Liebe Grüße aus Wien!