Hallo an Euch alle,
ich weiß nicht so recht wie ich anfangen soll - meine Geschichte ist ziemlich kompliziert. Alleine nen passenden Titel zu finden war schwierig genug.....
Ich habe mich entschieden mir hier mal ein paar Dinge von der Seele zu schreiben, die mich seit einiger Zeit belasten und für die es keine Vergleiche gibt wies aussieht. Jedenfalls hab ich ewig im Netz gegoogelt, aber keine Berichte gefunden, die mit meiner Situation vergleichbar wären. Deshalb suche ich jetzt hier mal nach neutralen Meinungen und vielleicht Ratschlägen.
So und nun komm ich endlich zur Sache.
Alsooooo, wie im Titel erkennbar bin ich eine besondere Stiefmama. Besonders, weil ich meinen Stiefsohn aufgrund einer besonderen Vorgeschichte bekommen habe.
Mein Mann und ich sind nun seit über 10 Jahren verheiratet und hatten eine sehr bewegte Beziehung mit vielen Aufs und Abs. Doch eines Tages beichtete er mir etwas, was mein komplettes Leben aus der Bahn geworfen hat. Ich muss dazu sagen, dass mein Mann kein Deutscher ist und regelmäßig in Urlaub in sein Heimatland gefahren ist.
Naja, eines Tages jedenfalls fragte er mich was ich dazu sagen würde wenn er ein Kind hätte. Ich dachte zunächst er will mich nur provozieren, aber er meinte es ernst. Er erzählte mir, dass er mich bei einem Aufenthalt in seiner Heimat betrogen hätte. Unter Alkoholeinfluss und ein einziges Mal. Gelegenheit macht Diebe sozusagen. Ich war komplett erschüttert, wusste gar nicht mehr was ich sagen oder tun soll. Er erzählte weiter, dass er bis vor einem halben Jahr selbst nicht wusste, dass er Vater ist, dass sich diese Frau erst bei seiner Familie gemeldet hatte als sie heiraten wollte und der neue Mann den kleinen Sohn nicht akzeptieren würde. Und nun wollte er seine Verantwortung tragen. Er wolle den Kleinen auf jeden Falll zu sich holen, denn er könne nicht damit leben ein Kind zu haben, das ohne ihn aufwächst, ihn nicht kennt. Er wäre glücklich, wenn ich das mit ihm gemeinsam durchstehen würde, aber er könnte auch verstehen wenn ich das nicht kann.
Es vergingen einige Monate mit viel Streit, Gebrüll, Trennungsphasen usw. Aber irgendwann habe ich mich entschieden, dass ich unsere Ehe nicht aufgeben will. Wir haben so viel gemeinsam erreicht und waren so lange zusammen, dass ich es nicht schaffte das alles hinzuschmeissen. Außerdem hat mich mein Mann in dieser Zeit menschlich unheimlich beeindruckt. Wie er damit umgegangen ist. Er hatte Riesen-Bockmist gebaut aber er stand dafür gerade und sein wichtigstes Ziel war, dem Kind ein Vater sein zu können.
Also begannen wir alles in die Wege zu leiten, damit der Kleine (er war damals 4,5 Jahre alt) nach Deutschland kommen darf. Ein Mords-bürokratischer Aufwand mit Visumsantrag, Vaterschaftstest, Jugendamt sowohl hier als auch im Heimatland. Nach ca. 6 Monaten hatten wir es aber geschafft - der Kleine konnte kommen. Mein Mann flog runter um ihn von dort abzuholen. Und ich hatte noch nie vorher so viel Angst gehabt wie an diesem Tag. Ich hatte ja keine Ahnung was mich erwartete. Schließlich war das ein Kind mit einer richtigen Scheiß-Vorgeschichte, ohne Sprachkenntnisse, mit schlimmen Traumata.......
Aber da musste ich nun durch. Und erstaunlicherweise lief alles ganz prima. Ich hatte sein Vertrauen unheimlich schnell gewonnen, weil ich mich so gut wie ganz ihm widmete. Wir unternahmen viel zusammen, redeten, spielten, ich brachte ihm Radfahren und Inliner-fahren bei, ich war diejenige die ihn in den Kiga brachte und auch wieder abholte - lange Rede, kurzer Sinn - ich ging in dieser Rolle total auf und erlebte seine Anwesenheit als echte Bereicherung. Sicher stellte er unser ganzes Leben auf den Kopf, aber wir konnten richtig zufrieden sein. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass ich mir schon länger ein Kind gewünscht hatte und mir dieser Wunsch nun auf ungewöhnliche Weise erfüllt wurde.
Und dann ca. 8 Monate später merkte ich, dass ich schwanger war. Schock! Nicht, dass ich mich nicht freute - im Gegenteil- ich war superhappy. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass wir darauf evtl. nicht vorbereitet waren. Naja, aber dennoch war erstmal soweit alles okay, ich genoss meine Schwangerschaft (ich hab mich nie im Leben vorher sooo wohl gefühlt in meiner Haut) und versuchte, den Kleinen daran teilhaben zu lassen.
Wegen drohendem Platzmangel kauften wir in dieser Zeit noch ein Haus und wies so oft ist, zogen wir um als ich hochschwanger war. 3 Wochen nach unserem Einzug kam dann unser kleiner Sohn auf die Welt.
Ich war sooo glücklich und sooo verrückt nach diesem bezaubernden kleinen Kerlchen; ich wollte am liebsten den ganzen Tag nur mit ihm verbringen.
Und hier begannen die Probleme. Plötzlich spürte ich den Unterschied zwischen den beiden Jungs. Ich spürte, dass ich so sehr ich mich auch anstrengen würde, den "Großen" niemals würde so lieben können wie den "Kleinen". Ich wollte mein Baby nicht teilen und kam nur schwer damit klar, dass er einen größeren Stiefbruder hat. Wenn die Leute zu mir gesagt haben, der Kleine sehe aus wie sein großer Bruder hat mich das tierisch verletzt. Ich dachte das kann doch nicht sein, sie haben doch nicht die gleiche Mutter. Und ich merkte, dass die Verletzung von damals ganz und gar nicht verheilt war. Ich hatte sie nur beiseite geschoben und mich meiner Aufgabe als Stiefmutter gewidmet. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich niemals für den Großen eine "richtige" Mutter sein kann. Jedenfalls nicht so, wie ich mir das selbst vorgestellt hatte.
Ich versuchte so gut ich konnte, beiden gegenüber fair zu sein. Was im Praktischen bedeutet hat, dass ich versucht habe alles so zu erhalten wie es gewesen war. Doch ich musste leider erfahren, dass das unmöglich ist. So ein Baby braucht einfach viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit, mal abgesehn davon, dass mir jede Minute, die ich nicht mit dem Kleinen verbringen konnte, in der Seele weh tat.
Gleichzeitig war ich entschlossen, dies den Großen aber nicht spüren zu lassen und ihm weiter die "Mutter" zu sein, die ich gewesen bin. Aber dabei habe ich nicht einkalkuliert, dass ja auch er den Unterschied zwischen ihm und seinem Bruder spürt. Einfach so, rein intuitiv. Ob ich mich nun bemühte oder nicht. Er merkte auch, dass meine Bindung zu dem Kleinen eine ganz andere ist als zu ihm.
Ich lebte in dieser Zeit auf dem Drahtseil. Einerseits die normalen Probleme mit einem Baby (Schlaflosigkeit, Dauerstillen, ungeheure Erschöpfung) und andererseits ein dauerndes schlechtes Gewissen, weil ich das Gefühl hatte den Großen zu vernachlässigen. Es bauten sich immer mehr Schuldgefühle auf und die Befürchtung als "Stiefmutter" total zu versagen. Ich wollte es beiden recht machen, aber ich konnte es einfach nicht. Ich war an meinen Grenzen angekommen.
Und dann entschied ich mich wieder - ganz intuitiv- dafür für MEIN Kind da zu sein. Ich wollte diese wunderbare Zeit einfach erleben und nicht mein Baby vernachlässigen um für den Großen da zu sein. Nicht, dass ich ihn ignoriert hätte oder ihn unfair behandelt hätte, aber er musste lernen zu akzeptieren, dass sein kleiner Bruder in vielen Dingen vorgeht. Dass ich eben nicht stundenlang mit ihm spielen kann oder ewig mit ihm im Bett verbringen kann. Dass er zurückstecken muss, wenn der Kleine schreit oder einfach auch beschäftigt werden will. Unter "normalen" Geschwistern ist das selbstverständlich. In meiner Situation war das eine schwere Entscheidung.
Ich glaube das war auch sehr schwer für ihn. Er hatte in mir die Mutter gefunden, die er sich vielleicht gewünscht hatte. Er hatte endlich eine normale Familie mit Mutter, Vater, Kind so wie alle anderen. Seine leibliche Mutter hat ihn wohl damals spüren lassen, dass er eigentlich nicht gewünscht war, dass seine Geburt ihr nur Probleme gemacht hat.
Und nun musste er wieder eine Mutter "verlieren". Ich denke diese Angst hat ihn sehr beschäftigt und beschäftigt ihn immer noch. Ich weiß das alles, aber ich konnte nicht anders handeln. Ich musste mich entscheiden und ich konnte nichts für seine Situation. Er und ich waren daran komplett unschuldig, mussten die Folgen aber quasi alleine ausbaden.
Das ist auch eins meiner großen Probleme. Dass ich -ob ich will oder nicht- seit der Geburt quasi automatisch zur bösen Stiefmutter werde. Dass ich mich zerreisse, alles so gut versuche wie ich eben kann, und doch bei ihm eigentlich alles nur falsch machen kann. Eben weil seine Situation so ist wie sie ist. Es lädt sich alles an mir ab. Die Beziehung zu meinem Mann hat sich kaum verändert, nur zu mir. Auf mich musste er oft verzichten, zum Spielen sind wir kaum noch gekommen; mal abgesehn davon, dass ich auch relativ wenig Lust hatte mit ihm zu spielen. So ein Alltag mit Baby ist anstrengend, da will man zwischendurch einfach seine Ruhe.
Ich habe irgendwie den Draht zu dem Großen verloren, er hat sich mir gegenüber verschlossen und scheinbar in sein Schicksal gefügt. Er hat mich immer noch sehr lieb, das weiß ich und er ringt um meine Aufmerksamkeit, aber ich kann ihm eben die leibliche Mutter einfach nicht ersetzen. Das ist einfach so.
Erschwerend kam noch hinzu, dass er kurz nach Geburt und Umzug auch noch eingeschult wurde. Er hatte also 3 Umbrüche auf einmal zu verkraften. Jeder pädagogische Ratgber sagt, dass eins dieser Dinge reicht um ein Kind aus der Bahn zu werfen. Umzug, Einschulung, Geschwisterchen.
Und ich war und bin emotional einfach überhaupt nicht in der Lage das aufzufangen. So kommt es mir zumindest vor. Andauernd muss ich Entscheidungen treffen, die mir Gewissensbisse bereiten. Andauernd von der Angst verfolgt, dass ich mit ihm etwas falsch mache, dass er dadurch später Probleme haben wird.
Ich habe mich selbst dafür aufgegeben und bin dennoch kläglich gescheitert. Ich konnte meinen Erwartungen an mich selbst, sowohl eine gute Mutter als auch eine gute Stiefmutter zu sein, einfach nicht gerecht werden.
Nun wird er demnächst 9 Jahre alt und ist generell in einer schwierigen Phase seiner Entwicklung und unser Verhältnis ist immer kühler geworden. Er ist schon aufgrund seines Alters bockiger und diskutiert um jeden Mist, aber ich habe das Gefühl, dass er mich damit auch (absichtlich???) provozieren will. Dass er dadurch meine Aufmerksamkeit gewinnen will. Aber ich bin einfach nur noch genervt. Es funktioniert fast nichts mehr wie es sollte. Er ist nicht aggressiv oder dreht durch, aber es muss eben jede Kleinigkeit Tag für Tag aufs neue ausdiskutiert werden.
Letztens wollte ich in die Stadt fahren um mir mal wieder Kleider zu kaufen und musste den Kleinen mitnehmen. Der Große musste zu hause bleiben, da er noch Hausaufgaben zu machen hatte und er später ins Fussballtraining musste. Obwohl mein Mann zuhause war und ihm bei den Hausaufgaben hätte helfen können, rief er mich ständig an um mich nach jeder Kleinigkeit zu fragen. Er sagte zu mir, dass er seinen Vater zwar gefragt hätte, der aber keine Zeit hatte ihm zu helfen.
Als ich nach hause kam wollte ich die Situation klären und habe meinen Mann gefragt warum er ihm nicht geholfen hat; darauf hat er mir geantwortet, dass der Große ihn überhaupt nicht gefragt hätte. Er hätte gesagt, er telefoniert mit einem Schulfreund und fragt wegen den Aufgaben nach.
Solche ähnlichen Situationen gibt es täglich. Die ewig gleichen Diskussionen um normale Dinge wie beim Essen ordentlich sitzen, Zähne putzen, aufstehen, ins Bett gehen, Hausaufgaben machen etc.
Vielleicht sind diese Probleme in seinem Alter ja normal, aber ich habe das Gefühl sie haben bei uns eine andere Dimension. Denn es geht weniger darum WAS er macht, als viel eher darum, dass ich irgendwie die Fähigkeit verloren habe Verständnis für ihn haben. Ich weiß, dass Kinder Probleme machen, nicht hören, bockig sind etc. aber bei ihm ist mir das einfach alle zuviel, ich bin nur noch genervt und nicht in der Lage - so wie ich es früher war - ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, das Ganze auf eine liebevolle Art zu regeln. Stattdessen mecker ich nur noch rum und kann mich dabei selbst nicht leiden. Ich befürchte eben, dass ich meine Wut, die ich eigentlich auf meinen Mann habe nun an ihm auslasse. Und ich bin leider wütend über die Existenz von ihm. Nicht darüber, dass es ihn gibt, aber darüber, dass mein Mann mir das angetan hat, dass ich bevor ich ein eigenes Kind hatte einen Stiefsohn präsentiert bekam. Dass ich ständig Rücksicht nehmen muss und mich schlecht fühlen muss, weil ich meinen Sohn liebe. Dass ich mein Leben mit meinem Kind nicht so leben kann wie ich es mir wünsche. Frei und ungezwungen. Stattdessen muss ich mir Gedanken darüber machen, wie ich unserem Großen irgendwie helfe mit seiner Geschichte fertig zu werden. Und daran scheitere ich eben dauernd. Weil ich an seiner Geschichte keine Schuld habe; und doch fühle ich mich verantwortlich obwohl ich das gar nicht kann. Ich kann ihm seine Geschichte nicht abnehmen. Sie ist wie sie ist.
Vielleicht mache ich mich auch nur selbst verrückt, aber diese ewigen Schuldgefühle machen mich einfach fertig. Ich kann nicht anders.
Wenn ich mit meinem Mann rede, sagt er ich spinne. Dass ich eine gute Mutter für beide Kinder wäre und es ganz normal ist, dass man genervt und gestresst ist und dass es mein Recht ist auch mal überfordert zu reagieren.
Aber ich glaube das einfach nicht. Ich glaube nicht, dass man ein gute Mutter sein kann, wenn man ständig seine Entscheidungen anzweifelt und nicht angemessen reagieren kann. Wenn man die ganze Zeit das Gefühl hat alles falsch zu machen.
Am liebsten würde ich manchmal mein Kind schnappen und abhauen. Manchmal halt ich das einfach nicht mehr aus. Ich bin total überempfindlich was den Großen betrifft und mache mir deshalb dauernd Vorwürfe.
Ich bin da in einen Strudel aus nem Haufen schlechter Gefühle reingeraten und komm nicht mehr raus. Je mehr ich mich bemühe umso tiefer rutsche ich rein.
Wenn ich das vorher gewusst hätte, was da auf mich zukommt, hätte ich mich sicherlich anders entschieden. Aber ich hatte die rosarote Brille auf. War blind für die möglichen Folgen meiner Entscheidung ihn mit großzuziehen. Ich habe nicht darüber nachgedacht was sein würde, wenn ich ein leibliches Kind bekomme. Mir war nicht klar, wieviel das verändert. Und deshalb hab ich auch eine Stinkwur auf mich selbst. Dass ich so naiv war und nicht damals die Bremse gezogen habe. Es ist einfach so verdammt schwer. Eigentlich kaum zu schaffen ohne jemanden zu verletzen. Das hätte ich wissen müssen. Aber andererseits wäre dann auch mein kleiner Engel nicht geboren worden....
Was ist richtig und was falsch? Ich habe keine Ahnung mehr.
Mit meinem kleinen Sohn kann ich frei sein, auch mal einen Fehler machen. Er muss keine Angst haben mich zu verlieren, denn er weiß, dass ich ihn über alles liebe und immer seine Mutter sein werde.
Aber mit dem Großen habe ich eine Mutter-Sohn-Beziehung "gebastelt", diese war nicht von Natur aus einfach da. Und sie ist so unheimlich zerbrechlich.
Ich weiß nicht, ob ich es auf Dauer schaffe sie zu erhalten.
Oder ob ich nicht doch am Ende die böse Stiefmutter sein werde, die Schuld am Unglück des Kindes hat.
Obwohl ich das nie sein wollte.
So, das war nun meine Geschichte. Obwohl ich ziemlich viel geschrieben habe ist es dennoch nur die Kurzfassung.
Ich hoffe es findet sich aber trotz der Länge jemand, der Lust hat sie zu lesen und mir evtl. ein Feedback zu geben. Denn deshalb habe ich sie hier aufgeschrieben.
Erstmal Danke und gute Nacht
Eure P.