Liebes Forum,
folgendes Problem belastet mich sehr:
Ich bin 20 und ein sogenanntes "Migrationskind", das zwischen den Stühlen steht: meine Eltern kommen ursprünglich aus Pakistan. Sie haben Pakistan vor 25 Jahren verlassen, weil kriegsähnliche Zustände vorlagen. Das bedeutet, sie hängen an ihrer Kultur und sind nicht in der deutschen Gesellschaft integriert. Aber konsequent leben sie ihre Kultur auch nicht- kulturelle Feste werden nicht immer gefeiert, sie haben keine engen pakistanischen Freunde, die sie regelmäßig besuchen, sie leben ihr Leben aus meinen Augen irgendwie nicht. Aber auch als Familie führen wir kein erfülltes Leben- wir essen nie gemeinsam, wir unternehmen nie was als Familie gemeinsam. Wenn ich Probleme z.B. in der Schule hatte, wurde nie auf meine individuelle Situation eingegangen. Für sie war immer nur wichtig, dass ich gut war in der Schule. Wenn ich eine 2 hatte, wurde mir vorgeworfen, warum ich keine 1 geschrieben habe (kein Scherz!). Meine Leistungen wurden nie anerkannt.
Meine Eltern halten es für selbstverständlich, dass ich nach ihren kulturellen Prinzipien lebe, d.h. nicht Rauchen/trinken, keine uneheliche Beziehung führen, nur einen Mann heiraten, den meine Eltern mir aussuchen werden, usw.
Als ich letztes Jahr ausgezogen bin für das Studium, habe ich ein ganz neues Leben begonnen. Ein Leben in Freiheit. Ich führe eine glückliche Beziehung, was ich meinen Eltern natürlich verheimlichen muss.
Meine Eltern kamen mich oft besuchen und brachten mir leckeres Essen. Sie haben immer viel in meine Bildung und alles was dazu gehört investiert. Aus materieller Hinsicht waren sie gute Eltern- aber nur darauf kommt es nicht an.
Für die Weihnachtsferien bin ich jetzt wieder nach Hause gefahren und musste feststellen, wie krass die Unterschiede zwischen dem Lebensstil meiner Eltern und meinem sind. Eine Vereinbarkeit erscheint mir unmöglich.
Manchmal denke ich, dass meine Eltern nichts dafür können, dass sie ja gezwungen waren ihr Land zu verlassen, dass sie ja schon zu alt sind. Mein Vater hatte/hat es schwer in seiner Arbeit als Ausländer und trotzdem ist er für uns arbeiten gegangen und hat für uns gesorgt.
Dann denke ich wieder, dass ich meine Eltern nicht gebeten habe, mich auf die Welt zu bringen. Ich hatte es auch schwer in meiner Kindheit und Jugend wegen des Verhaltens meiner Eltern. Ich wurde oft ausgeschlossen, weil ich nicht auf Partys und Treffen durfte. Einer langjährigen Freundin habe ich damals erzählt, dass ich nicht spät wegbleiben darf wegen meinen Eltern- sie konnte es aber nicht verstehen und hat mich vor anderen bloßgestellt. Das hat mich sehr gekränkt und seitdem bin ich sehr empfindlich was dieses Thema angeht und rede kaum mit jemanden darüber.
Meine Eltern verstehen sowas sowieso nicht. Sie sagen: "Richtige Freunde nehmen dich so wie du bist". Dann denke ich mir, wenn sie schon so hohe Anforderungen an Freunde stellen, wie hoch müssten dann die Anforderungen an Eltern sein? Sie müssten mich doch erst recht so nehmen wie ich bin. Wenn ich ihre Kultur ablehne, dann müssten sie mich doch trotzdem lieben.
Ich denke jedoch, dass sie mich nicht so akzeptieren werden. Ich habe aber keine Kraft mehr, immer auf ihre Belange Rücksicht zu nehmen. Denn was meine Beziehung angeht: ich kann mich mit meinem Freund nicht öffentlich entspannt zeigen, da ich Angst habe, ein Bekannter meiner Eltern könnte mich sehen und ich könnte "auffliegen". Auch könnte ich auch nicht einfach Urlaub machen, da ich meinen Eltern Erlärungen schuldig wäre.
Mein Freund weiß zwar, dass und warum ich meinen Eltern die Beziehung verheimliche, aber ich konnte bisher aus Angst vor Unverständnis nicht mit ihm ausführlich darüber reden.
Meine Eltern verschlechtern mit ihrer Art meine Lebensqualität sehr. Ich hab das Gefühl, nicht frei denken und entscheiden zu können. Ich bin sehr traurig über diesen Zustand und manchmal wünsche ich mir, den Kontakt zu ihnen dauerhaft zu beenden.
Was denkst du? Was würdest du machen?
Danke, dass du dir die Zeit für meinen Kummer genommen hast.
Nassim